Über mich
Jean-Philippe Wadle
Was macht einen guten Bassisten aus? In der Regel, dass man nicht über ihn spricht. Was so gesehen wie ein unlösbares Paradoxon klingt, gereicht einigen wenigen Bassisten zur Vortrefflichkeit. Ein Meister dieses kreativ routinierten Understatements ist ohne jede Frage Jean-Philippe Wadle.
Jean-Philippe Wadle ist omnipräsent. Seine Energie, sein Karma, seine Verve sind selbst dann spürbar, wenn man den Bassisten nicht bewusst wahrnimmt. Vielleicht beruht diese Besonderheit auf dem Umstand, dass er zum Bass auf Umwegen kam. Ursprünglich mit dem Klavier angefangen, fand seine Musikleidenschaft den Weg zum Bass.
Als er 1995 auf zwei Klassenkameraden stieß, die Gitarre spielten und für ihre Band einen Bassisten suchten, war schnell klar: „Das ist mein Ding!“ Er entdeckte Miles Davis und kam schließlich bei Ray Brown im Oscar Peterson Trio an. „Es war immer das Swing-Thema, das mich rockte“, bemerkt er rückblickend. „Und das begeistert mich bis heute.“
Mittlerweile hat sich Wadle zu einem der meist gebuchten Swing-Bassisten Europas gemausert, doch die Interessen des universal einsetzbaren Allrounders reichen weit darüber hinaus. Sein präzises Timing und seine rhythmische Unerschütterlichkeit führten zu Gigs und Kollaborationen mit der HR Big Band, Wolfgang Haffner, Thilo Wagner, Lalo Schifrin, Emil Mangelsdorff und Olaf Taranczewski, um nur einige zu nennen.
In jeder dieser Konstellationen definiert Jean-Philippe Wadle die Rolle seines Instruments neu und bleibt dabei seinen Grundsätzen stets treu. In der HR Big Band ist er ganz klar Sideman, während er bei Taranczewski zum eigenständigen Erzähler wird. Sein musikalischer Radar erstreckt sich über einen weiten Horizont, sodass er voller Bewunderung von anderen Bassisten spricht und doch seiner eigenen Mission nachgeht. „Ich schätze jene Bassisten am meisten, die einfach nur Bass spielen. Bassisten, die hinsichtlich Funktion und Klangspektrum fundamental sind und etwas bereiten, auf dem andere Musiker dann spielen können. Wenn ich selbst spiele, denke ich überhaupt nicht darüber nach, wie ich mich solistisch präsentieren kann. Es ist mir nicht wichtig, viele Solo-Spots zu haben, sondern ich picke mir gern die Stellen heraus, an denen ein bisschen mehr Bass für mich musikalisch sinnvoll erscheint. Ich mag es, wenn der Bass im Untergrund die dominante Position ausspielt, tief unten die Grundtöne festzulegen. Die Akkorde werden schließlich nach dem Basston benannt. Welche Akkorde also gespielt werden, entscheide am Ende ich.“
In welcher Konstellation Jean-Philippe Wadle auch antritt, hat er immer den Sound der ganzen Band im Blick. Er denkt in großen narrativen Bögen, die er schon am Anfang bis zum Ende denkt und entsprechend durchhält. Er verfügt über eine umfangreiche Farbpalette, auf die er stets mit Augenmaß zugreift, und füllt so oft die Rolle von Arrangeur und Dirigent aus. Seine menschliche Stärke besteht darin, für seine Mitmusiker diese besondere Befähigung dezent einzubringen. Denn Wadle ist sich durchaus des Grundproblems des Bass’ bewusst. Wenn er nicht da ist, fehlt er, aber wenn er da ist, merkt es niemand. „Vielleicht ist diese Rolle manchmal ein wenig undankbar, weil man nicht immer die Wertschätzung erfährt, die man sich in bestimmten Situationen wünscht. Irgendwann wurde mir aber bewusst, dass ich genau so spielen will und dafür gern auf diese oft oberflächliche Wertschätzung verzichte.“
Dass er auch als Leader oder zumindest Co-Leader Akzente setzen kann, zeigt er in der Langzeitformation Bassface Swing Trio und gegenwärtig auch in der Band Taranczewski. Der Pianist schätzt an seinem Kompagnon einen exquisiten ehrlichen und holzigen Sound, der durch ungemein lyrische Facetten abgerundet wird. Sein Spiel auf dem Kontrabass ist greifbar, atmet und wächst. Wadles große Flexibilität drückt sich in präzisen Klangvorstellungen in unterschiedlichen Stilistiken oder personellen Kontexten aus. Diesen Stil überträgt er stets unaufdringlich auf jede Band, in die er involviert ist. So ist der Grundtonarchitekt Wadle ein Bassist, der anderen offensive Räume bietet - wenn aber die Band aus sich selbst heraus derart wächst, dass der Raum für ihn da ist, dann weiß er ihn zu nutzen und gestalten.
Über das Musikalische hinaus trägt Wadle eine Fähigkeit in jeden musikalischen Kontext hinein, die rein menschlicher Natur ist. Er bildet Vertrauen. Der Virtuose braucht nicht zu befürchten, dass der ausgesprochen gruppendienliche Tieftöner mit ihm wetteifern wollte. Wadle ist einfach nur da, komme, was immer da wolle. Allen Eskapaden, Stürmen und Ambitionen hält er stand, sicher, routiniert und mit der ihm eigenen dynamischen Stabilität. Egal, ob ihm diese Funktion bewusst zugewiesen wird oder nicht, ist er in jeder Formation das ruhende Epizentrum, auf dem ganze Bands und Orchester ihre spontane Dramaturgie aufbauen können.
Dass ihn nichts aus der Ruhe bringen kann, liegt nicht zuletzt an einigen Wurmlöchern, die von seiner Musik zu anderen Quadranten seines Lebens führen. Jean-Philippe Wadle ist passionierter Golfspieler. Die Parallelen zwischen Golf und Jazz mögen nicht gerade offen zu Tage liegen, aber für den Bassisten, der auch als Golflehrer arbeitet, besteht der Vorzug beider Beschäftigungen in der Allianz aus Bescheidenheit und Geduld. „Für mich liegt die Prämisse in der Formel ‚Weniger ist mehr’. Ich sage mir immer, warte mal ab, und wenn ich denke: JETZT, dann ist es in der Regel noch nicht soweit. Wenn ich vor einem offenen Feuer sitze, passiert die ganze Zeit über nichts, und trotzdem geht total die Post ab. Davon kann ich viel auf meine Musik übertragen. Es geht immer darum, zu einem Bereich Zugang zu finden, in dem ich ohne zu bewerten einfach spiele .“
In der Ruhe liegt der Bass. Jean-Philippe Wadle, ist ein Ausnahmebassist, weil er kein Ausnahmebassist ist, und dafür ist er dankbar. Wir können es auch sein, denn das ihm entgegengebrachte Vertrauen zahlt er mit großartiger Musik zurück.
Wolf Kampmann